Nachdem nun beschlossen wurde, dass Bundeswehrsoldaten in
Uniform umsonst Bahn fahren dürfen und aus allen Richtungen, von Betroffenen
wie Unbeteiligten, von Berufenen wie Ahnungslosen fast alles zum Thema gesagt
wurde, möchte ich also auch meine „2 cents“ zum Thema loswerden.
Ein bei Befürwortern dieser Entscheidung oft gehörtes Argument ist, dass so die
Anerkennung des Staates gegenüber seinen Soldaten zum Ausdruck komme. Das macht
mich einigermaßen stutzig – bislang dachte ich, dass dies in Form meiner monatlichen
Bezüge erfolgt. Ich bin Oberstleutnant und werde entsprechend besoldet. Gemäß
der Studie des Institutes der deutschen Wirtschaft bin ich irgendwo zwischen
„relativ reich“ und „einkommensstark“ anzusiedeln. Die Masse meiner Kameraden,
auch in den Mannschafts- und Unteroffizierlaufbahnen würde dieser Studie
zufolge gesichert zur Mittelschicht gehören. Je nach individuellen Bedürfnissen
und Ansprüchen kommt man als Soldat finanziell „über die Runden“. Hinzu kommt,
dass der Dienstherr den besonderen Anforderungen an den Soldaten zusätzlich in
Form der freien Heilfürsorge Rechnung trägt. Dies ist im Vergleich der
Netto-Einkommen zwar bereits mit eingepreist, belegt jedoch, dass der
Dienstherr seine Schützlinge bislang zumindest nicht grob vernachlässigt hat. Die
Belastungen im Auslandseinsatz sind übrigens ebenfalls gesondert vergütet.
„92,03 und ich bin dabei!“ lautete früher noch ein Slogan im
Afghanistaneinsatz, da es für jeden Tag vor Ort 92,03€ extra gab. Steuerfrei.
Mittlerweile beträgt Stufe 6 des Auslandsverwendungszuschlages 110€. Pro Tag.
Eben als finanzielle Anerkennung des Dienstherrn für die besonderen
Belastungen, die er dem Soldaten abverlangt. Dies alles macht eine weitere
finanzielle Anerkennung meiner Tätigkeit zwar nicht unzulässig, aus einer rein
finanziellen Perspektive jedoch wird durch die faktische Gehaltserhöhung in
Form der kostenlosen Bahnfahrt ein finanziell bereits gutgestellter Mensch wie
ich nur noch bessergestellt.
Ein weiterer „Haken“ an dem „Anerkennungsargument“ für mich besteht darin, dass Anerkennung hier mit „finanziellem Vorteil“ gleichgesetzt wird. Ich stamme noch aus einer Zeit, da bei den Einstellungstest für Offizieranwärter die Erwähnung finanzieller Aspekte ein Tabu war. Eine „Killerfrage“ des Anwerbers war –angeblich- regelmäßig jene nach dem Unterschied zwischen „Söldner“ und „Soldat“. Oder in abgewandelter Form nach dem Unterschied zwischen „Beruf“ und „Berufung“ bzw. „Job“ und „Beruf“. Damals war man regelmäßig auf der „sicheren Seite“, wenn man sich von pekuniären Interessen lossagte und sich als „Überzeugungstäter“ präsentierte. Zumindest war dies die offizielle Musterlösung. Daher finde ich es nun eher wenig schmeichelhaft, wenn so getan wird, als hänge meine berufliche Zufriedenheit und mein soldatisches Selbstverständnis von der kostenlosen Nutzung der Bahn ab.
Problematisch ist zudem, dass die eigentliche Anerkennung, nach der wir Soldaten den Worten eines ehemaligen Ministers zu folge „gieren“, mit Finanzen nicht zu regeln und zu kaufen ist. Dabei handelt es sich um die Anerkennung durch die Gesellschaft. Und diese ist meiner Meinung nach von vielerlei Faktoren abhängig: Dazu müsste die Gesellschaft überzeugt sein, dass das, was Soldaten tun, einen Mehrwert für das Gesamte hat, dass unser Tun sinnhaft, nutzbringend und gefährlich sowie entbehrungsreich ist. Angesichts der tagtäglichen Meldungen über Pannen im Dienstbetrieb hier, nicht einsatzbereites Material dort und die vergleichsweise Rückständigkeit der Bundeswehr im internationalen Vergleich fällt es jedoch auch wohlmeinenden Zeitgenossen in meinem Umfeld zunehmend schwer, den Output des Systems Bundeswehr positiv anzuerkennen. Die Bewertung der Gefährlichkeit und der Entbehrungen im Dienstbetrieb fällt meinem Umfeld seit dem Ende der Wehrpflicht auch immer schwerer: Jedes Gespräch über die Gefahren im Einsatz endet sehr schnell mit dem Verweis auf die als „fürstlich“ empfundenen Extrazulagen und das ohnehin üppige Grundgehalt; einen eigenen Bezugspunkt zum Auslandseinsatz gibt es auf der zivilen Seite nicht, da dies nicht Bestandteil der (wenn überhaupt) ehedem geleisteten Wehrdienstzeit war. Die Verbindung zwischen dem Staatsbürger und dem „Staatsbürger in Uniform“ wird immer lockerer, seitdem man „da draußen“ die Bundeswehr nur noch vom Hörensagen, aus der Presse oder den längst nicht mehr stimmigen Wehrpflicht-Nostalgie-Erinnerungen kennt. Die Soldaten heute sind, zumindest in den Augen der meisten meiner Bekannten Menschen, die bewusst sich für einen Beruf entschieden haben und wussten, worauf sie sich da einlassen. Ein Argument, dem ich sachlich nur schwer widersprechen kann, allenfalls kann ich noch auf jene „Altbestände“ unter den Berufssoldaten verweisen, die wie ich selber einst über das „Zwangspraktikum“ der Wehrpflicht den Weg in die Arme des Dienstherrn fanden. Ein nun neuhinzukommendes weiteres Privileg für uns Soldaten wird die Bereitschaft der Gesellschaft, sich in unsere Lage zu versetzen und unser Tun wohlwollend anzuerkennen im besten Fall nicht weiter berühren, im wahrscheinlicheren Fall sogar eher negativ beeinträchtigen.
Ein anderes Argument der Befürworter jener Bahnfreifahrten ist der Umstand, dass die Bundeswehr eine Pendlerarmee geworden ist. Ja, stimmt. Nur leider ist zeitgleich die Deutsche Bahn ein profitorientiertes privatwirtschaftlich ausgerichtetes Unternehmen geworden ohne den Anspruch einer infrastrukturellen Grund- und Allgemeinversorgung Rechnung tragen zu wollen. Will sagen: Gerade im Regionalverkehr ist die Bahn eine Zumutung geworden. Und seit den Standortreformen der Scharping-Ära ist die Bundeswehr nicht mehr in der Fläche präsent. Oder genauer gesagt: Sie ist eigentlich nur noch in der Fläche präsent und zieht sich immer weiter aus den attraktiveren Standorten zurück. Ein Musterbeispiel ist der Umzug des „Kommando Heer“ (ehemals „Heeresführungskommando“) welches die infrastrukturell gut angebundene Stadt Koblenz zugunsten der Einöde in Strausberg verlassen musste. Weitere klangvolle Namen von Bundeswehrstandorten, abseits aller Hauptbahnstrecken: Idar-Oberstein, Erndtebrück, Kalkar, Stadtallendorf, Schwarzenborn, Altenstadt (Allgäu), Seedorf. Und selbst, wenn eine Stadt noch einigermaßen mit der Bahn erreichbar ist, dann fängt das größte Problem oft vor Ort an: Meine Grundausbildung machte ich seinerzeit in Nienburg an der Weser, einem Ort, den man tatsächlich recht gut mit der Bahn erreichen kann. Jedoch liegt die Kaserne nicht wirklich im Ort, sondern aus Nienburger Perspektive quasi am „anus mundi“, draußen vor der Stadt in Langendamm. Was ja auch Sinn macht, denn das, was ein dauerhaftes Inübunghalten im Soldatenberuf mit sich bringt – Schießübungen, Fahren mit größeren gepanzerten Fahrzeugen, Sport etc. – das ist in innerstädtischen Bereichen oft doch eher störend. Das Erreichen der Kaserne in Nienburg jedenfalls war angesichts des ÖPNV (für den übrigens jener Deal mit der Bahn wohl nicht übertragen wird) eine gefühlte Weltreise. Eine kleine Vergleichsrechnung hierzu aus einer anderen Gegend: Meine derzeitige Fahrtzeit zum Dienst nach Bonn mit meinem KfZ beträgt je nach Verkehrslage 45-60min. Freitag nachmittags auch gerne mal 75min. Die schnellste Kombination aus Zug und ÖPNV liegt bei mindestens 90min. Und das nur, wenn ich die 3 km von meiner Wohnung zum Bahnhof beame. Also werden es eher 100min und mehr. Für die einfache Fahrt zur Arbeit. Ob ich angesichts der Bahnfreifahrten mein Auto stehen lassen werde? Eher nicht. Und ich denke, viele Kameraden, die als Wochenendpendler dann an einem jener oben genannten Einöd-Standorte dienen, dürften ähnlich denken. Was nutzt das freie Bahnticket, wenn ich damit ungleich länger, unbequemer und unflexibler unterwegs bin und dann am Ziel festhänge, weil ich mit dem ÖPNV nicht weiterkomme? Okay, die Fahrradmitnahme würde hier ein wenig Abhilfe schaffen (wenn sie denn in dem ausgehandelten Paket inkludiert ist…), aber auch nicht jeden der aufgezeigten Nachteile derart aufwiegen, dass die Bahnfahrt attraktiv wird.
Dann wäre da noch das Argument der Sicherheit. Nun, welche Eingriffsbefugnisse im Falle eines Falles hätte ein uniformierter Soldat in der Bahn auf dem Weg zur Arbeit, die Hänschen Müller nicht ebenfalls hat? Soweit ich weiß, keine. In Frankreich und auch in Belgien war es in der Vergangenheit angesichts einiger terroristischer Zwischenfälle Soldaten sogar verboten, sich außerhalb des Dienstes in Uniform im öffentlichen Raum zu bewegen, weil sie eher Zielscheibe für potentielle Täter waren als Abschreckung. Ich befürchte, der Aufschrei in der Öffentlichkeit wird groß sein, wenn der erste Soldat in Uniform genau wegen seines Uniformtragens angepöbelt und bespuckt werden wird oder gar Schlimmeres geschieht. Oder wir alternativ machen Nägel mit Köpfen und versehen die gratis fahrenden Soldaten mit einem (derzeit nicht verfassungsgemäßen) Eingriffsrecht und Ordnungsauftrag und statten sie entsprechend aus. Also mit Waffe(n). Ich bin mir nur nicht sicher, dass dies politisch gewollt ist.
Zu guter Letzt sehe ich nach 23 Jahren Berufserfahrung noch die verwaltungsseitige Umsetzung dieser Idee skeptisch. Ich freue mich schon drauf, wenn mir für kommende Dienst- und Versetzungsreisen durch die Reisebuchungsstellen vorgerechnet wird, dass eine Dienstreise mit der Bahn zwar 5 Stunden (im Idealfall ohne Verspätungen und Ausfälle oder verpasste Anschlusszüge) länger dauert als eine KfZ-Fahrt oder der Flug, aber aus Kostengründen müsse ich halt mit 5mal Umsteigen nach Strausberg fahren. Und noch gar nicht thematisiert, moralisch jedoch durchaus berechtigt die Frage nach der Pendlerpauschale: Darf ich eigentlich noch eine Pendlerpauschale geltend machen, wo ich doch eine kostenlose Möglichkeit hätte, meine Wege zur Arbeit zu erledigen? Und nein, auf diesen Gedanken sind Mitarbeiter im BMF sicher schon längst gekommen, bevor sie nun hier davon lesen….
Ich fasse für mich zusammen: Die Möglichkeit gratis Bahn zu fahren hat für mich keinen Einfluss darauf, ob ich mich mit meinem Beruf gesellschaftlich akzeptiert fühle. Im Gegenteil, ich befürchte sogar abnehmende Akzeptanz. Es wird die Sicherheit und v.a. das Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum nicht signifikant erhöhen. Es wird nicht in signifikantem Ausmaß jener Zielgruppe zu Gute kommen, die diese Maßnahme in den Vordergrund rückt: Den Pendlern unter den Soldaten. Im schlimmsten Fall wird diese Maßnahme im praktischen Alltag einige unbeabsichtigte negative Seiteneffekte haben. Fazit für mich: Gut gemeinte, jedoch überflüssige und potentiell schädliche Symbolpolitik, die den zentralen Kern –„Anerkennung für den Soldatenberuf“ – nicht erreicht, weil sie ihn nicht erreichen kann.