Pogromnacht

9. November. An diesem vielzitierten Schicksalstag der Deutschen hat meine Heimatstadt ein Denkmal eingeweiht, um jener Menschen zu gedenken, die vor 84 Jahren um ihr Leben fürchten mussten, bedroht von ihren Mitbürgern, und die 4 Jahre später schließlich ihr Leben verloren, sofern sie nicht vorher ihre Heimat verlassen hatten.

In einer berührenden Veranstaltung wurde den Ereignissen und der Menschen von einst gedacht.

Als Zugereister lerne ich bei diesen Gelegenheiten auch immer viel über meine Heimat und möchte ein paar Eindrücke, Gedanken, die mich bewegt haben, hier teilen.

Die jüdische Gemeinde in den Orten Mülheim und Kärlich war in den 20er Jahren auf gut 120 Köpfe angewachsen. Das waren ca. 1,5% der Bevölkerung. Menschen, die in beiden Orten lebten, lachten, liebten und als normale Mitglieder in ihren Ortsgemeinschaften lebten, in den Vereinen mitmachten, Karneval feierten. Der bis in die 20er genutzte kleine Gebetsraum der Gemeinde reichte längst nicht mehr, also wurde das Haus, in dem er sich befand für 4.000 RM verkauft und vom Erlös sowie den Geldern der Gemeinde gleich nebenan in der Bassenheimer Straße eine kleine Synagoge errichtet. Sie wurde 1925 eingeweiht.

Was dann am 9. November 1938 dann nach der langen Vorgeschichte von Machtergreifung, Gleichschaltung, Nürnberger Rassegesetzen und permanenter antisemitischer Propaganda geschah, schilderte der Lokalhistoriker heute wie folgt: Am Abend des 9. haben sich in einer Kneipe in Mülheim 5-6 Männer ordentlich einen angetrunken. Angestachelt durch SA-Angehörige und Gestapo-Spitzel (natürlich aus Koblenz) zog diese kleine Gruppe zu Synagoge und randalierte dort, schändete sie. Niemand schritt ein. Keine Polizei, keine Anwohner. Das einzige, was die Täter davon abhielt, die Synagoge wie andernorts anzuzünden, war die unmittelbare Nähe zu den umstehenden (nichtjüdischen) Wohnhäusern.

Die letzten 41 jüdischen Bewohner von Mülheim und Kärlich, der jüngste 6 Jahre, der älteste 64 Jahre alt wurden schließlich Anfang 1942 über Koblenz per Bahn in die Vernichtungslager in Ostmitteleuropa abtransportiert, nach Auschwitz, Theresienstadt, Chelmno.

Beim Hören dieser Geschichte gingen mir Fragen durch den Kopf. Was für ein gesellschaftliches Klima muss herrschen, damit eine Gemeinde von über 100 Leuten nichts dagegen unternimmt oder unternehmen kann, wenn 5 Suffköppe ihr Gotteshaus verwüsten. Oder waren es doch mehr als nur 5? Und was haben die Anwohner, die „normalen“ Bürger der Stadt gemacht, als sie dieser Tat gewahr wurden? Zugeschaut? Beifall geklatscht? Sich weggeduckt und gehofft, nicht auch ins Visier des Hasses zu geraten? Heimlich die Faust in der Tasche geballt? Schwierig.

Was haben jene 120 jüdischen Menschen am nächsten Tag, den 10. November beim Anblick ihrer zerstörten Synagoge gedacht? Wie konnten sie danach noch an diesem Ort leben? Hier ihre Heimat sehen? Welches Schicksal haben jene erfahren, die bis 1942 nicht mehr da waren? Wie viele haben die rettende Flucht oder Ausreise geschafft, wie viele sind bereits vorher an „Zwischenfällen“ gestorben? Was geschah mit ihren Häusern, Wohnungen, ihrem Hab und Gut? Was hat die anderen 41 zum Hierbleiben bewogen?

Ein wichtiger Termin. Ich bin froh und dankbar, dass es nun diesen Gedenkstein in meiner Heimat gibt. Ich wünschte, dass er diese Funktion, Gedenkstein zu sein, buchstäblich ein „denk mal“ zu sein auch erfüllt. Das, was geschah können wir nicht ungeschehen machen. Und wir tragen auch nicht die Schuld unserer Väter oder Großväter in uns. Aber wir tragen die Verantwortung, solch Unrecht nie wieder zuzulassen. Es darf nie wieder geschehen, dass Menschen vor den Augen ihrer Mitbürger entmenschlicht, entrechtet und zur Schlachtbank getrieben werden. #Niewieder

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