Demokratie fällt in den Brunnen

2022 machten wir Urlaub in Italien. Genauer in Umbrien und der Toskana. Was mir dort ganz massiv in Erinnerung bleiben wird, ist die gravierende Trockenheit und Hitze. Bei manchen Ausflügen hatte ich leichte Afghanistan-Flashbacks – überall verdorrtes Gras, Staub und nirgends frisches Grün. Eine flirrende Hitze überall, die allenfalls im Schatten der Häuserschluchten von Gubbio oder Spoleto etwas Milderung erfuhr.

Halbwegs erträglich wurden die Stadtbesichtigungen jedoch, weil es selbst in den kleinsten Orten Norditaliens Trinkwasserbrunnen zur öffentlichen Nutzung gibt. Schnell hatten wir Wasserflaschen in die Sollausstattung des täglichen Reisegepäckes aufgenommen, die regelmässig an einem jener Brunnen aufgefüllt wurden.

Und zack – entstand eine Idee. Auch bei uns zu Hause werden die Sommer heißer und trockener. Das Thema „Hitzetote“ findet sich in der Presse und gerade unsere Heimatstadt Mülheim-Kärlich ist eine dichtversiegelte Hitzepfanne, die sich im Sommer brutal aufheizt. Da liegt es doch nur nahe, vom Bewährten zu lernen. Anpassungsmaßnahmen an Hitzesommer, die im leidgeprüften Italien funktionieren, können bei uns nicht verkehrt sein. Wir sitzen beide im Stadtrat von Mülheim-Kärlich, ein Antrag war also schnell geschrieben.

Gesagt, getan. Da wir ja bereits mehrere nicht erfolgreiche Anträge verfasst hatten, war uns klar, dass wir selbst bei einem so unkontroversen Thema dennoch eine solide inhaltliche Grundlage brauchen sowie vielleicht noch ein, zwei andere Hebel. Eine Recherche zum Thema stimmte zuversichtlich: Zum einen hatte just das Land Rheinland-Pfalz ein Förderprogramm für die Schaffung öffentlicher Trinkwasserbrunnen aufgelegt. Wenn man Landesmittel abzugreifen kann, kommen Kommunen meist auf sehr kreative Ideen, diese auch in Anspruch zu nehmen; dies sollte also schonmal ein gutes Argument sein.

Zudem hat ausgerechnet die Partei unseres Stadtbürgermeisters, die FWG, sich in Rheinland-Pfalz des Themas angenommen und pushte es: Mehrere Ratsfraktionen der FWG hatten in RLP Anträge zur Errichtung von Trinkwasserbrunnen gestellt und im Landtag machte deren Landesvorsitzender Druck bei dem Thema. Also: Noch mehr gute Gründe für uns, den Schritt zu wagen.

Um ganz auf „Nummer sicher“ zu gehen, habe ich dann einfach einen jener Anträge einer FWG-Ratsfraktion als „Kopiervorlage“ genutzt, ihn auf unser Corporate-Design umgemodelt und wir haben noch ein, zwei Passagen angepasstbzw. aktualisiert. Voller Zuversicht und im Vertrauen darauf, endlich einen positiven Beitrag für das Wohl unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger auch umgesetzt zu bekommen, gaben wir im September 2022 unseren Antrag bei der Stadtverwaltung ab.

Der Antrag wurde zunächst aber erstmal zur Beratung in den Planungsausschuss verwiesen, dieser tagte jedoch erstmal fürlange Zeit nicht. Schließlich wurde dann ein anderer Ausschuss, der für Bau- und Vergabeangelegenheiten als zuständig identifiziert. Welcher dann ebenfalls lange Zeit nicht tagen würde. Und so weiter und so fort.

Nach fast schon penetrantem Nachfragen durch uns, wurde unser Antrag dann endlich für den 05.10.2023 (sic!), also nach mehr als einem Jahr in einem Ausschuss beraten. Und mit der Mehrheit der FWG- und SPD-Vertreter*innen bei Enthaltungen durch die CDU abgelehnt.

Natürlich. Ich saß persönlich nicht im Ausschuss, allerdings hat unser Vertreter im Ausschuss berichtet, was die Freien Wähler bewog, dagegen zustimmen:Der Kostenaufwand sei zu hoch. Und die Hygienestandards könnten nicht garantiert werden. Und überhaupt – die Menschen heute würden ja kein Leitungswasser mehr trinken wollen, sondern andere Getränke bevorzugen. Etliche Probleme wurden gesucht und gefunden, die andernorts schon längst gelöst wurden. Es war gotterbärmlich, mit welch fadenscheinigen Unfugsargumenten hantiert wurde, um am Ende einen Antrag abzulehnen, der in fast allen anderen Kommunen von Rheinland-Pfalz umgesetzt werden kann. Abgelehnt von Menschen vor allem aus jener Partei, die in weiten Teilen von Rheinland-Pfalz genau das einfordert, was wir beantragt haben.

Ich habe mal im Scherz gesagt, dass hier, wenn wir Grünen beantragen würden, es möge zum Stadtfest bitte Sonnenschein und einen strahlend blauen Himmel geben, alle anderen im Rat aus Freckigkeit für Blitz und Donner stimmen würden. Am 05.10. haben sie mich leider in dieser Einschätzung bestätigt.

Wenn die Unzufriedenheit mit „der Politik“ momentan in Deutschland gewaltig ist, dann denkt erstmal jede*r an den Streit in der Ampel und das zerrüttete und inkonsistente Bild, das unsere Bundesregierung derzeit abgibt. Nun, das mag ein großer Teil des Problems sein – oder auch nicht. Diese parteipolitische Nickeligkeit, im Zweifelsfall sogar gegen die eigenen Inhalte und Ziele stimmen, nur um einer anderen parteipolitischen Färbung einen kleinen Erfolg zu verwehren, ist allerdings auch ein Problem.

Den Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt kann man dies jedenfalls nicht erklären, denke ich. Und wenn im kommenden Sommer die Temperaturen mal wieder über 30 Grad steigen, was in der Hitzepfanne Mülheim-Kärlich direkt gefühlte 35-38 Grad werden, dann bleibt am Dalfter, wo der Traumpfad „Streuobstwiesenweg“ beginnt, dann bleibt auf dem Rathausplatz, dem Kolpingplatz oder auch dem Raiffeisenplatz nur der Kauf von Getränken oder der Gang in eine Gaststätte. Das einfache und Italien sowie zig anderen Städten Deutschlands mögliche Durststillen am öffentlichen Brunnen bleibt den Menschen verwehrt, weil die falsche Partei den richtigen Antrag hierfür gestellt hat.

Antrag FWG Schifferstadt

Antrag Grüne MHK

Pressemitteilung FWG zu Trinkwasserbrunnen

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