Naturgesetzmäßigkeiten versus menschengemachte Gesetze

Ich gestehe gleich zu Beginn: Ich bin „Leschianer“, ein begeisterter Fan von Harald Lesch, jenem aus Funk und Fernsehen bekannt gewordenen Professor für theoretische Astrophysik, der mittlerweile an den Grenzen des Alls und des bestirnten Himmels angekommen sich den Grenzen des Menschen und seiner Rolle in diesem All zugewendet hat und nunmehr eine Professur für Philosophie innehat. Aus einer seiner Sendungen habe ich den nun folgenden Vergleich „geklaut“ und möchte ihn aus meiner Sicht etwas tiefergehend betrachten, weil ich denke, dass er einen Teil der gegenwärtigen Probleme unserer Gesellschaft, sich über bestimmte Themen noch in einem „sauberen Diskurs“ verständigen zu können, erklären hilft. Es geht um den Unterschied zwischen Naturgesetzen einerseits und den von menschengemachten Gesetzen andererseits. Ich möchte diesen Unterschied anhand dreier Kriterien betrachten: Verstoß, Sanktion und Revision.

Harald Lesch

Mit dem ersten Kriterium, dem Verstoß, meine ich (bzw. meint Harald Lesch) die Möglichkeit, gegen ein Gesetz zu verstoßen. Bei menschengemachten Gesetzen ist dies grundsätzlich möglich. Menschliche Gesetze, wie z.B. die 10 Gebote haben einen normativen, normsetzenden Charakter entweder im positiven Sinne eines „Du musst“ oder im negativen Sinne eines „Du darfst nicht“. Du musst Deine Steuern zahlen oder Gott ehren und Du darfst nicht Ehe brechen oder töten. Gleichwohl gibt es die grundsätzliche Möglichkeit des Verstoßes gegen diese Norm. Insbesondere das Beispiel des Ehebruches belegt dies in statistisch signifikanter Weise Tag für Tag.

Bei den Naturgesetzen sieht dies anders aus. Ein Verstoß gegen die Naturgesetze ist schlichtweg nicht möglich. Naturgesetze sind deskriptiv, normbeschreibend. Das „Gesetz“ im Wort „Naturgesetz“, obwohl auch in anderen Sprachen gleichbedeutend als „law“ im Englischen oder „Logos“ im Griechischen, basiert auf einem anderen Verständnis des Wortes „Gesetz“ als im Kontext mit dem menschengemachten Gesetz; es handelt sich hier vielmehr um eine „Gesetzmäßigkeit“. Sie können schlicht nicht gegen den 2. Hauptsatz der Thermodynamik oder die Schwerkraft verstoßen, es ist Ihnen nicht möglich. Auch ein Verstoß gegen den Satz des Pythagoras wird Ihnen nicht gelingen, nicht, weil die Prätorianergarde der Mathematik oder Physik Sie davon abhalten werden – es geht schlicht nicht. Während sich für viele, meist schwerwiegende Tatbestände, im Strafgesetzbuch der Zusatz: „Der Versuch ist strafbar“ findet, ist er für Physik- oder Chemiebücher unnötig. „Der Versuch, gegen Naturgesetze zu verstoßen, wird unmittelbar mit Scheitern bestraft.“ wäre zwar eine denkbare, jedoch überflüssige Formulierung.

Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik: Die Entropiezunahme in geschlossenen Systemen

Eng mit der Möglichkeit des Verstoßes ist die Frage der Sanktion verbunden: Bei den Naturgesetzen folgt die Strafe in der Regel instantan beim Versuch des Verstoßes und unabhängig von der Person und dem Status des Versuchenden; ein reicher Mensch ist ebenso der Gravitation unterworfen wie ein armer Mensch, ein moralisch handelnder ebenso wie ein Schurke. Aufschub erhält man allenfalls, wenn man statt aus dem 15. Stockwerk ohne Fallschirm zu springen aus einem Flugzeug in 15.000m Höhe springen würde. Die Tatsache, dass die elektromagnetische Wechselwirkung, welche für die „Konsistenz“ bzw. „Festigkeit“ von Materie verantwortlich ist, stärker ist als die Gravitation und man somit statt zum Erdmittelpunkt hindurchzufallen unsanft auf die Erdoberfläche aufschlagen wird, gilt in beiden Fällen und unabhängig der springenden Person, wenn auch mit zeitlichem Verzug.

Bei menschengemachten Gesetzen ist dies komplizierter: Zunächst einmal muss ein Verstoß gegen diese offenbar werden. Ein Todesfall, der nicht als Mord erkannt wird, wird keine Bestrafung des Mörders nach sich ziehen. Es ist also möglich, gegen menschengemachte Gesetze zu verstoßen, und damit „davonzukommen“. Aber selbst wenn sie als Gesetzesverstoß erkannt und bestraft werden, ist die Strafe für den Verstoß keine zwingende Folge: Ein guter Anwalt kann eine milde Strafe ausverhandeln, es können Schuldminderungs- oder Rechtfertigungsgründe für den Täter vorliegen, die ein Strafmaß reduzieren. Mit den Naturgesetzen hingegen gibt es kein Verhandeln über Strafmilderung oder Gnade; im Gegensatz zu Justizia ist die Natur tatsächlich blind und emotionslos. Während der folgenlose Verstoß gegen ein Menschengesetz entweder Glück, Zufall oder ein Produkt von Korruption oder ein Akt der Gnade sein kann, wäre der folgenlose Verstoß gegen ein Naturgesetz ein Wunder. Und Wunder fallen in das Reich der Theologie, allerdings – die bislang untersuchten Wunder ließen sich entweder auf bis dahin unbekannte Naturgesetzmäßigkeiten zurückführen oder auf die blühende Phantasie derer, die sie am Werk gesehen haben wollen.

Dies bringt mich zum dritten Punkt: Menschengemachte Gesetze können angepasst werden, falls sie als nicht mehr passend, ungerecht oder wahlweise als zu hart oder zu milde empfunden werden. Die Strafbarkeit homosexueller Handlungen wurde aufgehoben, Steuergesetze werden regelmäßig nachjustiert oder die Grenzen für den Blutalkoholgehalt beim Autofahren wurden reduziert. Für Naturgesetze hingegen gibt es diesen Revisionsmechanismus hingegen nicht. Hier gibt es allenfalls ein besseres Verständnis von den Naturgesetzen und tiefere Einsicht in die Mechanismen, nach welchen die Welt um uns herum funktioniert. Dies ermöglicht es uns, neue Techniken zu entwickeln, die Naturgesetze für uns nutzbar(er) zu machen. Dies mag angesichts der Leistungsfähigkeit und Mächtigkeit der wissenschaftlichen Werkzeuge, welche die Menschheit sich geschaffen hat, mitunter den Anschein eines Wunders erwecken; eine grundsätzliche Anpassung oder Veränderung bestehender Naturgesetze jedoch ermöglicht uns dies nicht. Die Gravitation, die zuvor durch die Theorie von Newton beschrieben wurde, wirkt trotz der Einstein’schen Relativitätstheorie fort. Sie wurde lediglich genauer, treffender beschrieben, nicht außer Kraft gesetzt.

Wieso habe ich im einleitenden Absatz dieses Textes diese Unterschiede zwischen Natur- und menschengemachten Gesetzen mit dem gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskurs in Zusammenhang gebracht? Nun, gerade in der Debatte um Klimaschutz, Klimawandel oder Klimakrise meine ich, dass diese Unterscheidung eine wesentliche Rolle spielt. Wenn der Gegenstand eines politischen Diskurses den Geltungsbereich der Naturgesetze zumindest berührt, dann sollten die Beteiligten an diesem Diskurs sich die dargestellten Unterschiede zwischen Natur- und menschengemachten Gesetzen bewusstmachen. Und ich denke, dass die Hartnäckigkeit und Unversöhnlichkeit zumindest einer Seite in dem Diskurs um den Klimaschutz vielmehr eben genau aus dem Wissen um diese Unterschiede resultiert.

Wenn man davon überzeugt ist, dass es „harte“ naturwissenschaftliche Belege und Indizien dafür gibt, dass unserer gegenwärtiger Lebensstil v.a. wegen seines Ressourcenverbrauches und seiner „Kollateralschäden“ nicht durchhaltefähig ist und uns zukünftig vor gravierende Probleme stellen wird, dann geht dies mit der festen Überzeugung einher, dass mit dem Klimawandel eben nicht verhandelt werden kann, dass seine Folgen zwangsläufig eintreten werden und unterschiedslos Verursacher wie Nichtverursacher treffen werden. Und dass es kein „Ausweichen“, kein „Nichtentdecktwerden“, kein „Herauslavieren“ geben wird.

Wenn das, was als derzeit akzeptierter und gesicherter Stand der Wissenschaft gelten kann (mal von den berüchtigten „100 Lungenfachärzten“ oder von geneigten Interessensgruppen finanzierten „Klimaskeptikern“ wie dem „EIKE-Institut“ abgesehen) tatsächlich zutrifft, dann wird das Verhalten der Spezies Mensch auf diesem Planeten absehbar und mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit zu einem weiteren signifikanten Anstieg von Treibhausgasen in der Atmosphäre führen, aus welchem eine Klimaerwärmung einhergehend mit Abschmelzen von Gletschern, Anstieg des globalen Meeresspiegels, gravierenden Wetterveränderungen, zunehmenden Extremwetterereignissen und Rückgang landwirtschaftlicher Nutzflächen resultieren wird. Unser Planet wird zukünftig nicht mehr die 7,4 Mrd. Menschen ernähren können, die ihn heute bevölkern, sondern signifikant weniger. Wieviel von uns werden „gehen müssen“, das hängt von unserem heutigen und künftigen Lebensstil ab. Dies nur, um einige der nach derzeitigem Stand der Wissenschaft auf uns zukommende Entwicklungen zu nennen.

Wenn man nun den Forderungen vor allem junger Menschen, die darauf abzielen durch eine Verhaltensänderung im großen Maßstab die eben dargestellten Konsequenzen zu verhindern oder wenigstens abzumildern, wenn man diesen mit überwiegend moralischen, politischen oder wirtschaftlichen Argumenten begegnet, so begibt man sich leider auf eine unzutreffende Ebene der Debatte, zumindest aus Sicht derer, die vor der menschengemachten Klimaveränderung warnen. Politik, Moral, Wirtschaft sind allesamt keine Naturwissenschaften. In allen dreien gibt es immer Handlungsalternativen und Auswahlmöglichkeiten, wogegen mit den Mechanismen, die gegenwärtig zur Veränderung des Klimas führen, nicht zu diskutieren oder zu verhandeln ist. Ich denke, auch deshalb diskutieren derzeit „Klimaschützer“ und „Klimaleugner“ in Teilen aneinander vorbei.

Wer einmal akzeptiert hat, was die Wissenschaft als „mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit gesicherte Erkenntnis“ vorlegt, der kann nicht mehr guten Gewissens hinter diese Erkenntnis zurück und weitermachen, als wäre nichts gewesen. Problematisch daran ist, dass er damit den Raum der Freiheit verlässt und in jenen der alternativlosen Notwendigkeit eintritt. Gemessen an moralischen Kriterien, ist die Zwangsläufigkeit und Alternativlosigkeit der Naturgesetze und ihrer Forderungen an uns tyrannisch. Nur leider scheren sich Klimawandel und Ressourenzerstörung nicht um moralische Kriterien. Stehen wir vor einem unauflösbaren Dilemma?

Ich vermag es nicht zu sagen. Ich denke, die Mechanismen, die zum Klimawandel führen sind komplex, sehr komplex. Ich denke, zugegebenermaßen ist es eher eine Hoffnung, dass wir als Menschheit gemeinsam unter den derzeit noch möglichen Optionen und Handlungsalternativen uns auf diejenigen verständigen werden, die dazu beitragen, den Klimawandel soweit abzubremsen oder abzumildern, dass wir auch zukünftig noch Handlungsspielraum behalten werden. Wenn wir diesen Punkt jedoch verfehlen, werden die Folgen gravierend und wir uns wünschen, wir hätten früher den Zwängen der Natur nachgegeben anstatt trotzig einem Freiheitsideal hinterherzulaufen, welches uns ins Verderben geführt hat. Je weiter der Klimawandel voranschreitet, desto weniger Freiheit werden wir in der Wahl der Mittel haben, mit seinen Folgen umzugehen. Ob uns dies gelingen wird? Ich zweifle.

Nachtrag: Just nachdem ich dies gestern getippt hatte, stieß ich auf einen Interviewschnipsel mit Richard-David Precht, in welchem er ziemlich entlang dieser Linie jetzt mehr Verbote einfordert. Noch haben wir Handlungs- und Gestaltungsspielräume im Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel. Diese werden mit jedem weiteren Lavieren und Verzögern nur geringer, denn Mutter Natur wird uns ihre Zwänge auferlegen. Und somit werden wir, wenn wir uns nicht jetzt selber beschränken, zukünftig immer weiter abnehmende und irgendwann gar keine Handlungsfreiheiten mehr haben. Paradoxerweise also können intelligente Verbote heute helfen, zukünftige Freiheit zu bewahren und umgekehrt: Hedonistische Liberalität heute gefährdet die zukünftige Freiheit, die eigene und mehr noch die kommender Generationen.

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