Ironie des Wahlergebnis in MV

Der liebe Gott hat Humor und einen Sinn für Ironie. Dazu muss man sich nicht extra das  Schnabeltier anschauen. Auch die Wahlen in MV taugen als Beweis für diese These und das in mehrfacher Hinsicht.
Die erste Ironie dieses Wahlergebnisses ist jene, die nahezu bei allen Wahlen auftritt: Eine Partei, die gut ein Siebtel ihrer Wähler verloren hat, feiert sich als großen Wahlgewinner, nur weil die direkte Konkurrenz noch mehr verloren hat und man vermeintlich Schlimmeres befürchtet hatte. Nun, das mag ihr gutes Recht sein, wird aber dem unguten Grummeln am rechten Rand und der diffusen Wut der (Selbst)Ausgestoßenen auf die abgehobene Polit-Kaste „da oben“ nur weitere Nahrung geben.
Die zweite Ironie besteht in der absehbaren strategischen Niederlage, die dieser kurzfristige Sieg beinhaltet. Indem nun sehr wahrscheinlich eine große Koalition fortgesetzt werden wird, können die rechtspopulistischen Knetbirnen sich weiter in ihrer Fundamentalopposition zu den „Altparteien“ oder „Systemparteien“ als gerieren ohne irgendeinen seriösen, konstruktiven, verantwortungsbewussten Vorschlag auf den Tisch legen zu  müssen. Große Koalitionen haben in Deutschland bislang meist die Entstehung einer außerparlamentarischen Opposition oder neuer Parteien begünstigt. Allerdings, so fürchte ich, würde selbst eine rot-rote Regierungsbildung der AfD diese Rolle als „einzig wahre Opposition“ erlauben, da die CDU sich (noch) hüten wird, sich mit jener einen Wettlauf in rechtpopulistischer Panikmache und Geschrei zu liefern. Bei der CSU scheint man hier weiter zu sein.
Die dritte Ironie besteht darin, dass, glaubt man den Analysen der Motivlage für die Wahlentscheidung in den Befragungen, es die Rechten geschafft haben, der SPD (und wohl auch der Linken) den Rang als „Kümmererpartei des kleinen Mannes“ abgelaufen zu haben. So rekrutiert sich die AfD also aus vermeintlich in der GroKo verlorenem bürgerlichen Konservativismus der ehemaligen CDU-Anhänger und dem ebenfalls in der GroKo abhanden gekommenen sozialen Profil der SPD. Machte Frau von Storch nicht letztens noch darauf aufmerksam, dass die NSDAP eine sozialistische (halt national-sozialistisch eben) Partei, somit „links“ gewesen sei? Nun, eine gewisse soziale Faszination scheint die AfD auch auszuüben.
Die vierte Ironie besteht darin, dass die AfD diese soziale Faszination zwar ausübt, jedoch alles andere als sozial ist. Großteile des sozial-und wirtschaftspolitischen Programms der Partei gehen auf jenen neoliberalen Wirtschaftsprofessor Lucke zurück, für den soziale Gerechtigkeit keine Kategorie des Denkens war. Aber vermutlich dürften die Wähler der AfD sich deren Programm kaum angeschaut haben.

Zumindest, fünfte Ironie, bleibt zu hoffen, dass große Teile der AfD-Wähler das Programm der Partei nicht gelesen haben. Die Alternative wäre, dass wir einen erheblich großen Bevölkerungsanteil mit Empathiedefiziten und einem Übermaß an Xenophobie hätten.

Sechste Ironie: Es hie bislang immer, dass eine hohe Wahlbeteiligung gut für die Demokratie sei und dazu führe, rechte Spinner so marginalisiert dastehen zu lassen, wie sie es verdient haben. Nun, wenn man den Analysten glauben darf, so hat die AfD vor allem ehemalige Nichtwähler mobilisiert und die Wahlbeteiligung höher ausfallen lassen als vor vier Jahren. Ein weiterer Beleg für die Entfremdung, die zwischen Volk und (ehemaligen) Volksparteien entstanden ist? Fast wünschte man sich, sie wären zu Hause geblieben.
Siebte Ironie: Ein „Linksliberaler“ wie Sascha Lobo betrauert auf Twitter das Abschneiden der CDU.

Achtens: In einem Bundesland mit 1,x% Flüchtlingen und einem Ausländeranteil von 3,x% wird „Überfremdung“, „Flüchtlingsflut“ und der Protest gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung zum Wahlkampfgewinner.

Neunte Ironie: Das Bundesland, in dem diese xenophobe Kampagne solche Erfolge zeitigt, hat als Haupteinnahmequelle den Tourismus oder in altem Deutsch: Den Fremdenverkehr. Eigentlich sollte man dort Fremde höher schätzen. Ach nee, gilt nur, wenn die Geld dabei haben und sich touristisch „ausnehmen“ lassen.

Zehntens: Dieses Bundesland gehört zudem zu jenen Ländern, deren Bewohner ehedem bei den reicheren Brüdern im Westen nach Begrüßungsgeld angestanden haben, die im Westen um politisches Asyl ersucht haben und die mit dem „Aufbau Ost“ Unsummen an fremder Kohle entgegengenommen haben. Scheint alles vergessen, wenn andere sich so benehmen.
Vergessen scheint zudem, elfte Ironie, die Vergangenheit unter dem Joch der sowjetrussischen Besatzung, die politische Unfreiheit, die Forderung nach Freizügigkeit in Europa, deren Verankerung in der KSZE-Schlussakte von Helsinki als großartiger Erfolg gefeiert wurde. Nein, in seinem (neu entdeckten) Hass auf „das System“ entblödet man sich in weiten Teilen nicht, eben jenen Nachfahren der sowjetrussischen Diktatoren als Erlöserfigur zu verehren.

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